Pfr. Ernst Hofhansl

Erinnerung an meinen Vater, Ernst Wilhelm Hofhansl

von Andreas Hofhansl

Mein Vater wurde in den letzten Kriegstagen in Mödling (Großwien) geboren. Meine Großeltern flüchteten mit Ihrem Erstgeborenen anschließend für ein knappes Jahr nach Oberösterreich. Die ersten Lebensjahre verbrachte er im Hause seiner Großeltern in Wien-Baumgarten, das waren viele Personen und Generationen auf engstem Raum und die Trümmerstraßen waren der Spielplatz. In der Gymnasialzeit übersiedelte die Familie ins Wiental, nach Rekawinkel, jetzt Ortsteil der Stadt Pressbaum. Dort im der Konfirmandenunterricht und in der kirchlichen Jugendgruppe, Pfarrer Dr. Walter Stökl war ein Stifter der Michaelsbruderschaft, wurde die Saat zur späteren Berufsentscheidung gelegt. Mein Großvater war Gemeindevertreter und zeitweise auch Kurator in der Gemeinde und folgte meinem Vater später in die Michaelsbruderschaft, in welche mein Vater mit 16 Jahren eintrat. Während seines Militärdienstes in Saalfelden entschied sich mein Vater zum Studium der Theologie in Wien.

Pfarrer Stökl leitete geistliche Wochen auf der Hinterbuchholzerhütte in Kärnten, zu welchen auch aus anderen Gemeinden, wo Michaelsbrüder Pfarrer waren, junge Erwachsene und auch Ältere kamen, so auch aus dem Elsass (F). Pfarrer Guerrier erlaubte seiner Tochter, bekannt als Gretel, mit einer kleinen Gruppe aus dem Nachbarort die weite Reise. So traf meine Mutter bei ihrer Ankunft am 18.07.1965 während der Mittagsruhe im Gang der Hütte erstmals auf meinen Vater, der von diesem Aufeinandertreffen anekdotisch und gar nicht so großartig erzählte. Auf den Tag genau 56 Jahre später leitete mein Vater seinen letzten Gottesdienst in der Michaelskapelle in Eichgraben und gedachte dabei auch der Entwicklung aus dieser Begegnung.

Schon während des Studiums unterrichtete er an der Volksschule Pressbaum. Unter den Schülern war auch seine Schwester, welche ihn in der Zeit als Herr Bruderlehrer betitelte. Diese Rollenverteilung blieb in Ansätzen bis zu seinem Tode aufrecht, wenn es um Religion und Gottesdienst ging, denn mein Vater wurde in den 80er Jahren zum Leiter der Lektorenausbildung in Wien und Niederösterreich, später für ganz Österreich berufen. Noch während des Studiums wurden ich 1968 und meine Schwester Katharina 1971 in Wien geboren. In der Zeit wohnten wir in Purkersdorf bzw. Pressbaum und es entstand eine Freundschaft zu Prof. Horst Aschermann, meinem Taufpaten. Dieser schuf später über Vermittlung meines Vaters die Hetzendorfer Genesis.

Sein Vikariat absolvierte er bei seinem Schwiegervater in Ingwiller und am Ökumenischen Institut des Lutherischen Weltbundes in Straßburg. Es war ein Dienst mit Gottesdiensten in mehreren Gemeinden jeden Sonntag und viele Fahrten im ganzen Elsass zu den Geläuten, denn mein Großvater war auch Glockensachverständiger. Ordiniert wurde er 1972, dem Jahr als meine jüngere Schwester Hanna geboren wurde, in Ingwiller in der St. Magdalenenkirche von seinem Schwiegervater, da dieser zu jener Zeit Superintendent war.

Es war meinem Vater eine Leidenschaft Wissen und Erkenntnisse weiterzugeben. So war der Unterricht für ihn keine Belastung, sondern eine Freude – unabhängig vom Alter des Gegenübers, von Volksschule und Gymnasium über Studenten bis zur Erwachsenenbildung. Das Lehrgespräch war für ihn keine Einbahnstraße, denn er war bereit zuzuhören und zu lernen – auch von jüngeren. In dieser Rolle sind auch die unzähligen wissenschaftlichen Beiträge zu betrachten, die er laufend veröffentlichte.

Von 1972 bis 1980 war mein Vater als Assistent an der Fakultät im Bereich „praktische Theologie“ lehrend tätig. Wir wohnten bis 1977, dem Jahr als mein 1 ½ jähriger Bruder Jörg starb, in Rekawinkel bei meinen Großeltern im Haus meines Vaters Jugend und übersiedelten dann nach Wien ins Theologen- und Studentenheim in die Blumengasse, welches mein Vater als Studieninspektor leitete. Viele seiner Ideen werden heute noch praktiziert, wie Andachten oder Barabende. Parallel war er als Ältester (Leiter) des Konventes Österreich der Michaelsbruderschaft und im Gustav Adolf-Werk nicht nur national tätig. In dieser Zeit entstanden Verbindungen in den osteuropäischen Raum, damals noch hinter dem „eisernen Vorhang“, welche die Umwälzungen des Zusammenbruchs der UdSSR und der Satellitenstaaten überdauerten. Besonders intensiv waren die Beziehungen nach Siebenbürgen, wo er regelmäßig Lehrveranstaltungen abhielt. Dies erfuhr eine Würdigung durch Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Klausenburg im Jahr 1998.
Aber auch außerhalb der lutherischen Kirchen fand er Kontakte im Ringen um geistliches Leben, gegenseitiger Anerkennung von Taufe, Ordination und Abendmahl. Weiters war er als Militärpfarrer der Miliz u.a. auch 2x am Golan und wurde zum Landeskurat der Wiener Pfadfinder bestellt. Wir verblieben bis 1990 in Wien.

Ein Wesenszug der Michaelsbruderschaft ist die Liebe zum Tagzeitengebet und zur Liturgie. Die volle Entfaltung der Tages- und Wochenstruktur durch die Tagzeitengebete lernten Konfirmanden und die begleitenden Erwachsenen in den ein- bis zwei Wochen dauernden Rüstzeiten – statt einer Stunde jede Woche – gelebtes geistliches Leben. Von diesem Modell eines geblockten Unterrichts hatte er als Assistent der Praktischen Theologie erfahren und gemeinsam mit Pfr. Michael Meyer für die Gemeinde Hetzendorf entwickelt. Es entsprach den damals neusten Erkenntnissen der Konfirmandendidaktik, gepaart mit innovativen Elementen der Freizeit-, Spiel und Erlebnispädagogik. So konnte mein Vater auch den ersten Jahrgang 1977 selbst begleiten – in dem in unserer Gemeinde inzwischen üblichen „Hetzendorfer Konfirmanden Modell“. Schon in dieser Zeit leitete mein Vater immer wieder Gottesdienste in Hetzendorf und so übernahm er auch von 1981 bis 1985 die Administration in der Gemeinde neben seiner Hauptaufgabe als Studieninspektor des Theologenheims. Dadurch hatte er Gelegenheit den Konfi-Unterricht intensiver selbst zu praktizieren – zu verbessern – anzupassen. Die Freude am Gottesdienst, der Theologie und meditativen Formen, die er mit allen bisher in Hetzendorf tätigen Pfarrern und der Pfarrerin teilte, haben unsere schlichte, stringente und klar gegliederte Form Gottesdienst als Fest zu feiern bis heute geprägt. Es war ihm wichtig und eine große Freude, dass in Hetzendorf jeden Sonntag Abendmahl gefeiert wurde, denn dieses ist die leibhaftige Form der Gefolgschaft mit Christus. Seinen vorletzten Gottesdienst konnte er zu Trinitatis in der Kirche am Wege leiten.

Mein Vater blieb über die Jahre, teilweise durch Unterricht im Sacre Coeur Pressbaum mit dem Wiental verbunden und feierte immer wieder Gottesdienste. Besonders hervorzuheben ist die Feier der Osternacht, deren besonders Form in der Michaelsbruderschaft erprobt wurde und die er durch Pfr. Stökl kennenlernte. In dessen Nachfolge, auch unter anderen Pfarrern im Wiental, führte er die Tradition fort. Einige Jahre lang wurde zuerst in Eichgraben und danach in Hetzendorf gleich zweimal der Auferstehung mit der entfalteten Liturgie und die Ausbreitung des Lichtes von einer Kerze bis zur strahlenden Kirche gefeiert. Die Uhrzeit in Hetzendorf wurde parallel zur Christmette, die traditionell schon längst um 23 Uhr gefeiert wurde, gewählt. Inzwischen gibt es die Osternachtfeier in vielen Gemeinden Österreichs. Ingrid hat in Ihrer Zeit als Pfarrerin in Hetzendorf die Feier, z.B. die Fragen und Antworten im Stil des Pessach-Mahles und die Einbindung von vielen Liturgen, z.B. den Konfirmanden oder Taufwerbern, ausgebaut.

1990 verteilte sich die Familie; die Eltern übersiedelten in die Pfarrgemeinde Neunkirchen, ich rückte beim Heer ein, eine Schwester ging nach Paris und die andere nach Lissabon. Die Nebentätigkeiten blieben und wurden teilweise noch ergänzt, so wurde er auch Bundeskurat der Pfadfinder und war weiterhin nicht nur Militärpfarrer, sondern unterrichtete nicht nur an öffentlichen Schulen in Neunkirchen, sondern auch an der MilAk und am Militärrealgymnasium in Wiener Neustadt. Später, ab 1999 übernahm er einen Lehrauftrag für evangelische Liturgik an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Graz und für diese Tätigkeit wurde ihm im Jahr 2005 von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer der Titel Universitätsprofessor verliehen.

Im Zuge der Versetzung in den Ruhestand 2010 wurde mein Vater Ehrenbürger der Stadt Neunkirchen für große Verdienste im Zusammenleben der Konfessionen und zwischen Kirche und Stadt. Ab 2011 und der Übersiedlung ins Elternhaus in Rekawinkel feierte er viele Gottesdienste im Wiental, Krems und auch noch in Neunkirchen und Hetzendorf. Er wurde zum Senior (Interimsleiter) der gesamten Michaelsbruderschaft berufen. Gedacht war das Amt für ein oder zwei Jahre, doch er hatte es dann sechs Jahre inne. Eine Woche vor seinem Tod wurde ihm das Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich, welches ihm anlässlich seines 75. Geburtstages gewidmet war, überreicht. Das wissenschaftliche Arbeiten endete erst mit Fortschreiten seiner Erkrankung.

Seit 2004 sind die Enkelkinder Esther, Leopold, Marianne, Ruth und Lucia ein Quell beständiger Freude. Er pflegte zu sagen: „Unsere Enkelkinder sind die besten der ganzen Welt. Das sagen zwar alle Großeltern, aber bei uns stimmt es auch!“

Den schwarzen Talar trug mein Vater eigentlich nach seiner Pensionierung nur in den Fastenzeiten (Advent- und Passionszeit) und bei Begräbnissen. Ansonsten war weiß das Gewand der Feier. So wurde am 13.07.2021 die Einsegnung am Friedhof in Pressbaum in schwarz und die Messe zur Auferstehung am Nachmittag in der Michaelskapelle in Eichgraben in Weiß gefeiert. In der Albe mit dem Bruderschaftskreuz wurde er auch begraben.