Liebe Interessierte am Nach-Denk-Brief!
Liebe Freundinnen und Freunde!
Via del Silenzio
Als ich ein kleines Kind war, kam meine Patentante zu Besuch – eine ältere Dame, die selbst kinderlos war. Anscheinend hatte ich sie ziemlich angestrudelt, vermutlich auch nicht ganz verständlich für sie. Da sagte sie zu mir: jeder Mensch hat in seinem Leben nur eine bestimmte Zahl an Wörtern, die er reden kann, wenn die verbraucht sind, muss er immer schweigen. Möchtest Du das – oder magst Du Dir noch Wörter aufheben?
Wie pädagogisch sinnvoll das war, sei dahingestellt. Jedenfalls habe ich eine geraume Weile immer drauf geachtet, ja nicht zu viel von meinem Kontingent zu verbrauchen. Und alles Reden war angstbesetzt. Bis mich meine Mutter fragte, warum ich denn nichts rede… Naja – so kann’s gehen!
Die Straße der Stille –
wir werden sie als gemeinsamen Weg bald verlassen. Dennoch mögen das Schweigen und die Stille einen Platz in Eurem Leben bewahren, auch ohne abgezählte Wörter. Habt Ihr schon mal drauf geachtet, wieviel einen lieben Tag lang an absolut Unnötigem geschwätzt wird? Wer allein lebt, ist dieser Gefahr eher weniger ausgesetzt – außer man führt erheiternde Selbstgespräche. Aber wenn Ihr mal in der U-Bahn zuhört, was da so ins Handy getrötet wird…, oder achtet mal auf die Nachrichtensprecher*innen, auch wenn Ihr Euch so manchen Gottesdienst gebt: was wird da nicht alles angesagt und kompliziert geredet, was absolut nichts mit Gottesdienst zu tun hat – oder wenn Ihr Euch selbst beobachtet: ganz viel absolut leeres Gefasel.
Schweigen ist nicht einfach nichts reden!
Falls Ihr schon mal eine Schweigegruppe erlebt habt: da gibt es die einen, die wirklich schweigen. Bei ihnen kann es schon mal vorkommen, dass sie am Frühstückstisch kurz und knapp und freundlich sagen: bitte die Butter. Und dann gibt es die Redenden: sie fuchteln mit allen nur zur Verfügung stehenden Grimassen quer über den Tisch, um zur Milch zu kommen, sie beobachten rundum alle, ob sie ohnedies brav schweigen, sie lesen jeden Aushang, der nicht für sie bestimmt ist, gehen kopfschüttelnd weiter …
Schweigen ist eine Übung des Wesentlichen.
Pred 3,7 schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit. Mk 14,61 Er aber schwieg still und antwortete nichts. Da fragte ihn der Hohepriester abermals und sprach zu ihm: Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten?
Schweigen ist nicht immer angesagt. Schweigen dann, wenn es mich zu meiner Mitte führt, wenn es mir die Ohren öffnet für das Wort Gottes, für die Klage meines Nächsten, für die Not der Elenden. Aber reden, wenn ich Gefahr laufe, etwas zu verschweigen, was anderen helfen könnte, oder wenn ich einfach nur zuschau und nicht bereit bin, Stellung zu beziehen. Ja manchmal müssen wir den Mund aufmachen, uns einmischen und Klartext reden.
Jesus selbst ging immer wieder in die Stille und die Einsamkeit. Aus der Stille und dem Schweigen können Entscheidungen reifen, Wegweisendes kann geplant werden, oft sind die Gedanken der Stille die Wendepunkte im Leben.
Als ich ein Kind war – auch noch ein kleines, da malte mir meine Mutter das Leben der Nonnen total düster: die dürfen nichts reden, die müssen immer schweigen. Etwas später hörte ich von Exerzitien, dass man da eine Woche oder länger schweigen müsse – ich konnte es mir nicht vorstellen, bis ich das Geschenk von Schweigewochen erfahren durfte – Schweigen ist nicht, nichts reden: Schweigen ist hören und loben, klären und entscheiden, danken und warten. Stille kann beglücken. Macht Euch auf in die Via del Silenzio, an ihrem Ende wartet ohnedies wieder die Piazza del Mercato mit den Marktschreiern! Wenn wir einander in der Via del Silenzio begegnen, werden wir einander freundlich, still und leise grüßen!
Eure
Ingrid Vogel