Liebe Interessierte am Nach-Denk-Brief!​
Liebe Freundinnen und Freunde!

Verstehst du, was du da liest?

So fragt Philippus den Äthiopier auf dem Wagen.

Lesen und verstehen sind zweierlei. Das wissen wir – auch die PISA-Studie macht immer wieder darauf aufmerksam, dass sinnerfassendes Lesen eine große Schwierigkeit ist für viele Schülerinnen und Schüler.

Apg 8,26ff Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist … Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.

Im Bild die Seite mit Genesis 1 aus der Gutenbergbibel:

sie das teuerste Buch der Welt, sie ist das erste mit beweglichen Lettern gedruckte Buch. Entstanden ist sie zwischen 1450 und 1455 in Mainz. 1282 Seiten in je zwei Spalten à 42 Zeilen. Die rund 100 Miniaturen wurden von Hand gemalt, ganz in der Tradition der Handschriften (mit 10 Farben, wie immer wieder betont wird). Von den 150 gedruckten Exemplaren kennt man heute noch 22.

Um die Bibel zu verstehen braucht man nicht Theolog*in zu sein.

Aber es hilft, Anleitung zu bekommen. Wir haben in den letzten Jahr vermehrt mit Menschen die Bibel gelesen, die aus einem ganz anderen Kontext kommen: Afghanen, Syrer, Iraner u.s.w. Um sie taufen zu können, mussten sie natürlich auch die Bibel verstehen lernen. Wer dabei mehr gelernt hat, weiß ich nicht. Für mich war es ein intensives Lernen. Ein Wahrnehmen, dass es nicht primär an der Sprache scheitert, sondern an dem Verstehen von Texten ganz allgemein. Wir aufgeklärten Menschen haben anders lesen gelernt als Menschen, die den Koran singen.

Der Kämmerer aus Äthiopien hatte das Glück, dass er nicht nur das Geld für eine so teure Anschaffung hatte, sondern einen Lehrmeister an die Seite bekam. So konnte er die Geheimnisse des Auferstandenen erkunden: Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Schriftwort an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. Auch wir brauchen immer wieder solche Lehrmeister*innen. Röm 10,17 So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi. So kann uns eine Predigt helfen, neue Aspekte zu verstehn, aber auch spezielle Methoden des Lesens können hilfreich sein, um das Wort Gottes neu zu hören.

Eine altbewährte Methode, die schon die Wüstenväter und –mütter übten, ist die Lectio Divina.

Es ist eine meditativ-betende Art, die Bibel zu lesen und zu verstehn: 4 unterschiedliche Schritte sind dabei wichtig:
lectio: das aufmerksame und sinnerfassende Lesen. Da geht es um das Wahrnehmen, das Hören.
meditatio: einen Vers aus dem Gelesenen eignet sich der betende Mensch an, indem er ihn
immer wieder meditierend nachspricht. Hier geht es um Nach-Denken.
oratio: das Gebet, es ist wie die Antwort an Gott und vor Gott auf das gelesene Wort.
contemplatio: dieser Aspekt fällt manchen schwer, denn hier geht es darum, im Miteinander mit Gott
zu verweilen und in diese kontemplative Gemeinschaft mit Gott zu kommen. Man könnte sagen,
es ist Verweilen in Gott, ein Dasein vor Gott, ein aus dem Wort ins eigene Leben einschwingen.

Viel Freude am Ent-Decken der Bibel einmal mit einer anderen Lesemethode!

Eure
Ingrid Vogel