Liebe Interessierte am Nach-Denk-Brief!
Liebe Freundinnen und Freunde!
Ein anderer Gedenktag
20. Juli 1944 – Der Tag verläuft anders als geplant:
Dabei war alles genau vorbereitet – aber der Plan ging aus einer Verkettung von schwierigen Umständen nicht auf. Das Attentat auf Hitler war gescheitert. Die meisten der Beteiligten wurden in der Folge noch in der Nacht zum 21.7. erschossen. Weitere Mitglieder des Widerstandes wurden in Schauprozessen vor dem Volksgerichtshof zu Tode verurteilt und hingerichtet. Die Familien der Widerstandskämpfer wurden interniert.
Die Hinrichtung tausender Juden war nicht das einzigen Verbrechen des Regimes des Nationalsozialismus,
wenngleich eines der grausamsten. In vielen Städten gibt es Mahnmale dieser grauenvollen Morde. Schaurig beeindruckend die Wand mit Steinen des Gedenkens im Innenhof der Großen Synagoge in Budapest.
Wieviele Schicksale waren da mitverwoben – Männer, Frauen, Kinder. Besonders auch die Schicksale der Frauen des 20. Juli und deren Kinder. Sie wurden in Sippenhaft genommen, die Kinder in Heimen zur Umerziehung untergebracht. Erst spät hat man ihrer gedacht, lange Jahren waren sie de facto vergessen.
Ist Tyrannenmord erlaubt?
Eine uralte Frage. Der erste Tyrannenmord ist nachgewiesen für 514 vor Christus. Harmondios und Aristogeiton verüben ein Attentat auf die tyrannischen Brüder Hippias und Hipparchos im alten Griechenland. Über die ethische Rechtfertigung eines solchen Tuns wird immer wieder diskutiert. Auch im alten Rom ist die Frage nach dem Mord an Gaius Julius Caesar (15.3.44 v.Chr.) ein Thema. Der Scholastiker Johannes von Salisbury schreibt im 12. Jh. sogar von einer Pflicht Der Christen zum Tyrannenmord. Die Kirche allerdings ging davon aus, dass Tyrannenmord Frevel sei.
Im Talmud kann man lesen:
„Weshalb ist zu Beginn bloß ein einziger Mensch erschaffen worden? Um dich zu lehren, dass jener, der einen einzigen Menschen vernichtet, gleichsam die ganze Menschheit vernichtet hat und jener, der einen einzigen Menschen erhält, die ganze Menschheit erhalten hat.“
Hans von Dohnanyi, oft als geistiger Kopf des Widerstands bezeichnet, führte mit seinem Schwager Dietrich Bonhoeffer, ein bemerkenswertes Gespräch. Der Jurist fragte den Theologen: „Jesu Wort >Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen<, gilt das auch für uns?“ Bonhoeffer antwortete; „Ja, das gilt auch für uns. Wir müssen akzeptieren, dass wir diesem Gericht verfallen. Aber solcher Menschen bedarf es nun.“ Für Bonhoeffer war also klar, dass mit diesem notwendenden Attentat auch unweigerlich verbunden war, Schuld auf sich zu laden.
Umgekehrt versuchte Göring nach dem Attentat des 20. Juli dem Volk zu suggerieren: „Der Führer wurde durch die allmächtige Vorsehung wie durch ein Wunder gerettet. […] Es lebe unser Führer, den der allmächtige Gott heute so sichtbar segnete“.
Gott bleibt im Spiel – so oder so. Und wir Menschen müssen die Verantwortung übernehmen – so oder so. Denn die Frage bleibt offen, welches ist das kleiner Übel. Und Henning von Tresckow, ein Weggefährte von Stauffenberg, sagte: „Wenn einst Gott Abraham verheißen hat, er werde Sodom nicht verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe ich, dass Gott auch Deutschland um unseretwillen nicht vernichten wird.“ Ja, Gott bleibt im Spiel und wir bleiben gefordert – so und so!
Eure
Ingrid Vogel