Liebe Interessierte am Nach-Denk-Brief! Liebe Freundinnen und Freunde!

Spiegel der III.!

Reichen nicht die Spiegelsäle in den Schlössern, die Spiegel in den Fernrohren, die Spiegel an den Wänden, und die vielen kleinen Taschenspiegel? Was ist denn am Spiegel so interessant, dass ihm nun schon der 3. NDB gewidmet wird?
Und was ist so bedeutend an modernen Hausflächen, dass sie als Spiegel gestaltet werden, in denen sich nicht nur schöne alte Gebäude, manchmal auch verzerrt abbilden, sondern auch moderne, nichtssagende Fassaden gespiegelt werden.

Eine Verwendung des Wortes Spiegel war noch gar nicht im Blick: die Spiegelliteratur.

In den mittelalterlichen Spiegeln werden je unterschiedliche Lebensbereiche dargestellt. Sie gehören zur Erbauungs- und Lehrliteratur. Sie sollen informieren, haben aber auch in der Gesellschaft z.T. normativen Charakter.

Besonders deutlich erkennt man das an den Rechtsspiegeln:
Zwischen 1220 und 1235 entstand der bedeutendste, der sogenannte Sachsenspiegel – Grundlage und Vorbild für viele weitere Rechtsspiegel, mit den zwei Hauptteilen Landrecht und Lehensrecht.

Aber auch andere Spiegel gab es in jener Zeit: Narrenspiegel und Fürstenspiegel, Spiegel über die Kunst zu regieren, über Moral und Religion, Päpste und Jungfrauen, und allgemeine enzyklopädische Werke.

Ist mancher Spiegel künstlich hergestellt, und damit verbunden mit einer bestimmten Absicht für die Wirkung und den Gebrauch, so entstehen andere ganz einfach von selbst: Eine Pfütze, ein Gewässer, ja, ein Tropfen reicht, um die Welt zu spiegeln und neue Blickwinkel zu eröffnen! Welch großer Reichtum ist uns geschenkt im Nach- Denken und Nach-Fühlen in den Spiegel unserer selbst!

Unsere Bibel kennt den Spiegel auch im Sinne der mittelalterlichen Verwendung, wenn einem ein Spiegel des eigenen Tuns vorgehalten wird: Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst. Denn wenn jemand ein Hörer des Worts ist und nicht ein Täter, der gleicht einem Menschen, der sein leibliches Angesicht im Spiegel beschaut; denn nachdem er sich beschaut hat, geht er davon und vergisst von Stund an, wie er aussah. (Jak 1, 22ff)

Manchmal ist es schwer dem eigenen Spiegelbild standzuhalten –

davon erzählt auch die Wiener Baseliskensage: der Baselisk ertrug den Blick in den Spiegel nicht und zerplatzte aus Wut über seine eigene Grauslichkeit und Scheußlichkeit.

Dass uns das nicht passieren möge, sondern uns der Spiegel ein Korrektiv zum Guten sei, hoffe ich für alle Leserinnen und Leser!

Eure
Ingrid Vogel