Liebe Interessierte am Nach-Denk-Brief!
Liebe Freundinnen und Freunde!

Mein Herr und mein Gott! (Joh 20,28)

Das Evangelium zum Pfingstmontag ist eigentlich der Abschluss der Ostererzählung: Die Jünger sind beisammen, Jesus tritt durch die verschlossene Tür – er tritt also durch die „Angstsperre“ der Jünger, und sagt Ihnen – dreimal – Frieden zu. Ihr braucht keine Angst zu haben, ich bin da. Trotz Kreuz und Leid, trotz Hilflosigkeit und Zweifel –
ich bin da!
Ostern hat das neue Leben geschaffen, gegen alle Widerstände des Faktischen.
Thoma war nicht dabei – und viele kennen die Szene vermutlich, die ihm den Beinamen der „Ungläubige“ verschafft hat: er konnte nicht glauben, ohne selbst zu sehn und zu „be-greifen“. Die Berührung macht es aus, das Berührtwerden von Gott selbst.
 
Ernst Barlach hat diesen Moment eingefangen in der Skulptur: „Wiedersehen“.
Es ist der Moment des Begreifens, des Sich-Aufrichtens an der Wahrheit des Gottessohnes.
In dem Moment kann Thomas bekennen: Mein Herr und mein Gott.

Menschliche Nähe vollendet das Ostergeschehen.

Thomas, der Zwilling – Gott, der Zwilling des Menschen? In seinem Mitleiden wird Jesus zum Bruder der Menschen, im Wiedersehn mit ihm liegt im Abschied der Neubeginn.
 
Mit Barlach haben wir wieder einen Vertreter jener Künstler vor uns, die in der Zeit des Nationalsozialismus als „Entartete“ galten. Am 2. Jänner dieses Jahres haben wir seines 150. Geburtstages gedacht.
 
„Immer wieder kreist meine Lust und mein Schaffensdrang um die Probleme des Lebenssinns und der anderen großen Berge im geistigen Bereich.“ – So Barlach über sein Werk.
Berührend sind viele seiner Werke; anregend, dem eigentlichen Sinn des Lebens nachzuspüren.
Es sind sehr oft die Grenzerfahrungen des Lebens, die Barlach in sein Werk hereinholt und womit der das Wesen des Menschen und das Wesen Gottes zum Ausdruck bringt. Damit ist er ein wahrhaft pfingstlicher Künstler, der es nicht beim bloßen Abbild bewenden lässt, sondern die Höhen und die Tiefen menschlichen Seins wie in einer Metaebene nochmals in anderes Licht rückt.
 
Gerade in dieser Plastik zeigt uns Barlach, dass es nicht auf Stärke ankommt. Die Gabe des Geistes ist es, dass wir uns anrühren lassen von Gottes Gegenwart, berühren lassen von seiner Kraft, heilen lassen von seiner Nähe, aufrichten lassen von seiner Liebe. Der Zweifel ist Teil des Lebens und vor allem auch Teil des Glaubens.
Martin Luther schreibt in seinem Kleinen Katechismus in der Erklärung zum 3. Glaubensartikel:
„Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben…“
 
Diese österliche Geisteskraft auch im Zweifel und
das pfingstliche Vertrauen auf das neue Leben aus Christus!

Friede sei mit euch!
 
Eure
 
Ingrid Vogel