Liebe Interessierte am Nach-Denk-Brief!​​​​​
Liebe Freundinnen und Freunde!

„Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt er voll der Marmorschale Rund“ –

so beginnt C.F. Meyer sein Gedicht: >Der römische Brunnen.<

Ein römischer Brunnen vergießt sein Nass im Fallen nach dem ersten steilen Aufstieg. Die Schönheit liegt gerade in diesem sanften Absteigen. Und zugleich im neuen Empfangen auf der nächsten Ebene. Und immer wieder ist es ein Aufnehmen und ein Weitergeben, ein Zufließen und ein Abnehmen. Warum empfinden wir dies so schön – und warum tun wir uns sonst so schwer mit dem Abnehmen, dem Abgeben, dem Weiterreichen?

Alles ist hier schon vorbereitet – die geöffneten Schalen, der Zufluss des Wassers, der feste Stand und die Spitze. Gebündelte Energie wird hier heraussteigen. Im Wind wird der aufsteigende Strahl in alle Richtungen verdreht und verweht werden. Ruhig und gleichmäßig wird sich das Wasser von Schale zu Schale weiterentfalten. Die Spitze wird nur geben müssen, unaufhörlich sich verströmend. Die unterste Schale wird nur empfangen können, aufnahmebereit sein, sich füllen zu lassen.

Jene, die oben sind, sind immer gefährdet,

ein „Pour-Out“ zu erleben (Burn-Out würde ja wohl beim Wasser nicht passen). Jene ganz unten werden zwar reichlich bedient, aber eben auch zwangsbeglückt. Sie müssen nehmen, was da kommt. Und oft mischt sich im untersten Becken schon einiges an Dreck dazu, Abfälle, die mutwillig hineingeworfen werden, Blätter, Staub, und vieles mehr, das aus den oberen Etagen nach unten gespült wird. Die dazwischen kommen dem Rad nicht aus, aufzunehmen und weiterzureichen, und das in einem unermüdlich wiederkehrenden Rhythmus – wie in einem Perpetuum mobile.

Das bekannte Sprichwort mit dem Hochmut kommt aus der Bibel: Sprüche 16,18 Wer zugrunde gehen soll, der wird zuvor stolz; und Hochmut kommt vor dem Fall. 19 Besser niedrig sein mit den Demütigen als Beute austeilen mit den Hoffärtigen. 20 Wer auf das Wort merkt, der findet Glück; …

Es scheint wie ein Gesetz, das unumstößlich ist.

Selbst wenn es nicht mit Hochmut verbunden ist – Aufstieg – könnten wir besser sagen. Auch Städte und Kulturen sind nach dem Aufstieg oft ganz plötzlich gefallen, und Politiker sowieso. Der Fall allein ist es aber eben nicht:
Aufnehmen – bewahren – weiterreichen: in diesem Wechsel geht der Atem, in diesem ununterbrochenen Fluss geht alle Nahrung, alle Energie, alles Wissen durch die Jahre, durch die Generationen. Aber auch Trost und Liebe und Glaube und Segen – Und jedes Teilchen durchlebt alle Stadien.
Vielleicht kann ich mich auch fragen, was meine Schale zum Überfließen bringt? Womit ich gefüllt werde?
Mag sein, dass es hilft, wahrzunehmen, wo ich gerade bin, um vor bösen Überraschungen bewahrt zu werden, oder zumindest besser drauf vorbereitet zu sein.

Im Positiven wie im Negativen erleben wir diesen Rhythmus ja auch in der jetzigen Krise – die Fallzahlen, die Ansteckungsraten, die Aussagen der Politiker*innen, die Sympathiewerte, die Maßnahmenpakete…

Leben wir in einem ausgewogenen Aufnehmen – Bewahren – und Weitergeben so wird unser inneres Gleichgewicht uns gut über die Jahre helfen.
Davon überzeugt grüßt Euch
Eure

Ingrid Vogel